21.07.2020 Nationaler Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige

21.07.2020 Nationaler Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige

Unter dem Motto: „…jedes Leben und jeder Mensch zählt!“ hatten wir in diesem Jahr anlässlich des Gedenktages für verstorbene Drogenabhängige am 21.07.2020 auf den Hof unseres Standorts Katharinastraße eingeladen

In diesem Jahr war nichts wie gehabt… Eine Veranstaltung zu organisieren war längere Zeit bis auf weiteres nicht denkbar…

Aktuell sitzen wir alle in einem Boot und die Gefahr betrifft uns alle...

Angesichts des Drogentotengedenktags haben wir noch mal auf die Situation in der Drogenhilfe und die besonderen Gefahren, denen sich drogenkonsumierende und -abhängige Menschen ausgesetzt sehen, aufmerksam gemacht.

Alles, was Menschen gefährden könnte, müsse reduziert werden, appelliert Angela Merkel in ihrer bewegenden TV Rede zur Corona-Krise am 18. März. Sie konstatiert: „wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt! Alles, was Menschen gefährden könnte, was Menschen schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren. ..“

Aber wird hier auch für Drogenkonsument_innen alles getan?

Am 24.03.2020 wird im Radio berichtet, dass die Zahl der Drogentoten im vergangenen Jahr um 9,6% gestiegen ist. 2019 starben in Deutschland insgesamt 1398 Menschen durch den Konsum illegalisierter psychotroper Substanzen, wie die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CDU) mitteilt.

Neben Todesfällen aufgrund von Opiatvergiftungen verdoppelten sich fast die Zahlen der Todesfälle durch Kokain, Amphetamine und synthetischen Drogen in den vergangenen 5 Jahren.

Ein Konsumtrend, der sich in unserer Einrichtung auch schon länger bemerkbar macht und uns als Gesellschaft insgesamt herausfordert, weil immer wieder neue, zum Teil gefährliche Substanzen den Markt überschwemmen. Hier hinkt die Rechtsprechung einer Sisyphosaufgabe gleich hinterher.

Die jahrzehntelange Prohibitionspolitik führte eher zur Zuspitzung der Situation und Überschwemmung des Marktes mit immer neuen Substanzen, mit denen findige Geschäftsleute steuerfreies Geld erwirtschaften und riesen Gewinne absahnen. Was würde wirklich passieren, wenn die Hersteller haften müssten und Substanzen für Erwachsene im Beratungssetting frei zugänglich wären? Wie viele Steuereinnahmen ließen sich für Prävention und therapeutische Hilfen erzielen?

Als die Drogenhilfe in den 70er Jahren startete, gab es zahlreiche Drogentote und eine rigide Verbotspolitik, die erst durch Erkrankungen wie HIV langsam Änderungen möglich machte und den Zugang für Ersatzstoffe (wie z.B. Methadon) öffnete - und das auch (nur) deshalb, weil die Ansteckungsgefahren für die gesamte Bevölkerung dadurch reduziert wurde.

Drogenkonsumräume, in denen schwerstabhängige (Heroin- und Kokainkonsument_innen) Safer-Use praktizieren können, konnten nur mit Überwindung großer Widerstände umgesetzt werden.

Auch wenn vieles schon erreicht wurde, gibt es darüber hinaus Forderungen von zahlreichen Fachleuten und Politiker_innen, die zur weiteren Verbesserung der Situation von Konsument_innen und somit unserer gesamten Gesellschaft beitragen sollen.

Es ist unter Experten unstrittig, dass Cannabiskonsum zu gesundheitlichen, speziell zu psychischen Beeinträchtigungen und Erkrankungen sowie zur Abhängigkeit führen kann.

Aber Fakt ist: illegale Substanzen werden konsumiert.

Schon in einem 2011 veranlassten Ländervergleich wies die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) darauf hin, dass es keinen Zusammenhang zwischen bestehenden Gesetzten und den Prävalenzraten des Drogenkonsums gibt. Was heißt: Drogen werden konsumiert und mit Gesetzen lässt es sich nicht verhindern.

Der Einstieg in den Konsum rauscherzeugender Substanzen ist auch Ausdruck der Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt, kann aber, gerade wenn dahinter psychosoziale Probleme stecken, zur Verschärfung sozialer Notlagen und Ausgrenzung der Betroffenen führen. Vorstrafen (z.B. wegen Drogenbesitz) führen u.a. zum Ausbildungsplatzverlust oder dazu, einen solchen erst gar nicht zu finden. Menschen werden dadurch verstärkt ausgegrenzt und verlieren ihren Platz und ihre Zukunft in der Gesellschaft.

Forderungen der Legalisierung und kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene, um die Märkte zu trennen und Substanzsicherheit zu erzielen, mit denen andere europäische Länder gute Erfahrungen machten, waren hier nicht umzusetzen.

Der Konsum in Haftanstalten wird weiter geleugnet und dadurch riskant belassen. Substitutionsmöglichkeiten, die mittlerweile anerkannte Regelversorgungen der Krankenkassen darstellen, werden in Haftanstalten oft erschwert und sind vom Wohlwollen der Anstaltsärztinnen und -ärzte abhängig.

Drugchecking (im englischsprachigen Raum „pill testing“ genannt) soll gefährliche Substanzen oder hohe und damit gefährliche Substanzkonzentrationen ausfindig machen und vor dem Konsum warnen.

Rechtliche Hürden haben die Umsetzung von Drug-Checking jahrelang verhindert und den Beginn eines weiteren Pilotprojekts in Berlin bis heute verzögert. Und das, obwohl es immer wieder Meldungen über Substanzen gibt, die zum Teil lebensbedrohlich sind.

Wie passt das alles zu der Aussage: Jedes Leben, jeder Mensch zählt?

Wenn sich die Einstellung, die hinter der Aussage steckt: „... jedes Leben und jeder Mensch zählt!“, durchsetzt, kann hier noch viel erreicht werden.

Claudia Reuter-Spittler